Kleidung - Zottechter Hut mit Reiherstutz

Filzhut mit Wollzotteln, Seidenfütterung, Damastband, Agraffe und Reiherstutz. Foto von Filip Ge
(zw. H. 15tes Jhd.)

Unter den zahlreichen Kopfbedeckungsformen des ausgehenden Mittelaltes sticht dem Betrachter spätmittelalterliche Bildquellen die der mittels stilisierter Faser-oder Schlaufenstruktur dargestellten Hüte besonders ins Auge. Diese unterschiedlich entweder mit einem pelzähnlichen Haarflor (verikalen Strichen) oder Schlaufen-oder Noppen (Teilkreise) Hüte sind insbesondere bei Darstellungen ausserhalb von Gebäuden, jedoch aber auch bei Portraits gerade auch wohlhabender Personen, wie ansonsten auch Jägern und Bauern zu beobachten, kurzum: sie sind allgegenwärtig. in ersteren Fällen erscheinen sie oft mit einem scheinbar grob drappierten Band, sowie einer Agraffe, und häufig mit aufgesteckten Federn.

Insbesondere im deutschen Raum taucht diese zuerst nicht näher eingrenzbare Struktur bei melonenartigen, schmalkrempigen Hüten auf, als charakteristisches Beispiel sind die Arbeiten der Meister des Amsterdamer Kabinetts, üblicherweise auch oft "Hausbuchmaler" genannt, geläufig, ob dessen diese Hutform auch kurz "Hausbuchhut" genannt wird.

Dem Betrachter erschliesst sich zunächt die Konstruktion dieser Hüte nicht, sie erweisen sich als typisches Beispiel der Schwierigkeiten bei der Auswertungen von Bildquellen, und werden verschiedentlich kunsthistorisch als "Pelzhüte" eingestuft. Bei näherer Betrachtung insbesondere von Portraits aus dem städtsichen Umfeld relativiert sich diese Vermutung etwas, und verschiedene Funde liefern schliesslich den entscheidenden Hinweis auf eine nähtechnisch aufgebrachte Struktur in Form eines samt-oder Pelzimmitierenden Faserflors aus Wolle, Leinen und Seide. Hierbei werden auf den meistes aus Wollfilz bestehenden Hut Schlaufen aus verschiedenen Materialien gestickt, die später aufgeschnitten werden können. Je nachdem, ob die Schlaufen geschlossen bleiben, ode aufgeschnitten werden, ergibt sich hierbei eine pelzartige, oder "zott(el)ige" Struktur.

Textquellen nennen verschiedene Begriffe, die wahrscheinlich dieser Konstruktionsmethode zuzuordnen sind, und weisen auf eine Verwendung insbesondere für schlechtes Wetter, als Kälte-oder Witterungsschutz hin.

Ich bedanke mich bei Filip Ge für die Erlaubnis, das Foto zu benutzen.

 

Vorlage

Dieser Hut basiert auf einer breiten Basis von Handschriften, Gemälden, Textquellen und Funden, allen vorran die Werke der Meister des Amsterdamer Kabinetts, genannt auch "Hausbuchmaler", und hierbei vor allem das Wolfegger Hausbuch.

Hüte mit nähtechnisch angebrachtem Flor liegen uns in einer Reihe von Fragmenten und gar kompletten Funden vor, das späteste Exemplar ist der Männerhut T32 aus der Kostümsammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, ein mit Samt immitierenden Seidenflor versehener Filzhut um 1600 aus dem ehemaligen Zeughaus. Dieser bezeugt auch die lange Laufzeit der Praxis, deren früheste Vertreter in Europa auf das 9-10.Jhd datieren, und in Haithabu, Schleswig, gefunden wurden.
Hauptsächliche Fundvorlagen waren ein zeitgenössischer Fund eines Filzhutes aus einer Stadtkerngrabung in Kassel, der mit Leinenfloor versehen ist, und Fragmente von Filzhüten mit Wollflor aus London, datiert auf das frühe 16te Jahrhundert. Darüber hinaus existiert ein gut erhaltene Fund aus Apirsbach, um 1576 datiert, der ebenfalls aus Filz gefertigt und mit Wolle benäht wurde

Bildliche Darstellungen, die auch deutlich den aufgebrachten Flor erkennen lassen, finden sich in den Hausbüchern der Mendelschen Zwölfbruderstiftung (Ulrich Gottseigert, Hutmacher, um 1454 und 1495),dem Selbstbildnis des Hans Baldung Grien, um 1500-1505 in Basel, das Bildnis Sigmunds von Tirol um 1465, dem Wolfegger Hausbuch um  1470-80, sowie einer großen Anzahl weiterer Bildquellen.

In zeitgenössischen Texten lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn auch nicht mit 100%iger Sicherheit, verschiedene Begriffe dieser Hutausführung zuordnen. So werden im Nachlaß des Patriziers Konrad Imhoff aus Nürnberg von 1486 "schwarze zottete Kappen" erwähnt,in dem seines Sohnes Wolf Imhoffvon 1520 wiederrum "großen behemischen Kappen". Weitere Textquellen benutzen Begriffe wie "rauhe" "zottete" oder "grobe" Hauben.

Die hier vorgestellte Rekonstruktion  ist aus mittels Indigo blau gefärbtem Wollfilz gefertigt, und mit ebenfalls mittels Indigo blau gefärbtem Wollzwirn benäht. Er ist mit weisser Seide gefüttert, und mit einem Band aus Seidendamast (Weiss und mittels Rotholz rot gefärbt) versehen. Als Zierde dient ein sogenannter Reiherstutz, wie er ebenfalls auf zahlreichen Bildern nachzuweisen ist, in dieser Variante schlicht bestehend aus zahlreichen Reiherfedern hinter einer Agraffe (->Hutagraffe mit Smaragd).

Dieser Hut basiert primär auf Abbildungen, Gemälden, Kupferstichen des sogenannten "Hausbuchmalers", bzw. den "Meister(n) des Amsterdamer Kabinetts" (Details siehe Quellliste), insbesondere den Szenen aus dem Wolfegger Hausbuch, sekundär auf Gemälden , vor allem, aber nicht nur, aus Nürnberg, sowie dem Hausbuch der Mendelschen Zwölfbruderstiftung.

Er ist aus indigogefärbtem Schafswollfilz gefertigt, und mit einem Futter aus weisser Seide versehen. Eines der umlaufenden Band aus Seidendamast wurde mit Rotholz rot gefärbt. Über den angebrachten Reiherfedern wurde eine Agraffe mit Smaragd angebracht.

Der Filzhut selbst ist eine Arbeit von Ulrike Tuschy, die Agraffe (-> Hutagraffe mit Smaragd) eine Arbeit von Dirk Hülsemann. Der Faserflor wurde von Myriam Gateault aufgestickt.

Verschiedene Darstellungen von Hüten mit Faserflor, zw.H.15tes Jhd
(In unserem Besitz seit 05/2011 / Stand 22.11.2011)
 

Quellangaben

Kostümentwurf, frühes 16tes JahrhundertKostümentwurf aus dem Hofkleiderbuch der bayrischen Herzöge, um 1534, München, Bayrische Staatsbibliothek. Darstellung eines mit Blattwerk verzierten, mit Nähflor versehenen Hutes
Bildnis eines Berner RatsherrenBildnis eines Berner Ratsherren von Samuel Kallenberg, um 1540-49, Schweizerisches Landesmuseum Zürich. Dargestellte Person trägt einen jagdhutartigen Hut mit Flor.
Bildnis des Utz von Woerd, 1515Bildnis des Utz von Woerd, um 1515, Schloßmuseum Weimar. Trägt eine Kappe mit Flor.
Filzhut um 1600, Germanisches Nationalmuseum NürnbergFilzhut T32 aus dem ehemaligen Schwarzenburger Zeughaus, um 1600, mit samtimitierenden Seidenfloor. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
Titelholzschnitt zu Andreas Musculus: der Hosenteufel, 1555Titelholzschnitt zu Andreas Musculus: der Hosenteufel, 1555.Landsknecht mit Pluderhose und Florhut. Monogrammist RH.
Holzschnitt um 1547Bildnis Kaiser Karl V., Holzschnitt um 1547 von Monogrammist MR. Darstellung eines Hutes mit florähnlicher Struktur
Epitaph von Philippus CallimachusEpitaph des ital. Gelehrten und königl. Sekretärs Philippus Callimachus, Dominikanerkirche Krakau, Polen, von Veit Stoß, um 1500. Hut mit Florbesatz an der Wand hängend.
Filzhutfund, Kassel, Ende 15tes JahrhundertFilzhutfragmentfund aus einer Statdkerngrabung (1983) in Kassel, Ende 15tes Jahrhundert. Wollfilz mit aufgenähten, weitestgehend abgeriebenen Leinenflor.
Kappenfund mit Faserflor, Haithabu, 9-10.JhdKappenfund mit Faserflor, Haithabu, 9-10.Jhd. Aus Wollköper gefertigte, genähte Kappe mit aufgenähtem, tierischem Faserflor
Filzbarett des Svante Sture vom 24. Mai 1567Filzbarett des Svante Sture vom 24. Mai 1567, erhalten in der Kathedrale von Uppsala. Filz mit aufgebrachtem Wollflor
Portrait von Hans VI. TucherPortrait von Hans VI. Tucher, Michael Wolgemut, 1481, Nürnberg. Hut mit Faserflor tragend.
Bildnis Albrecht Dürers des Älteren, 1490Bildnis Albrecht Dürers des Älteren, 1490. Gemalt von Albrecht Dürer, Nürnberg. A.D. d.Ä. trägt einen dunklen Hut mit Florbesatz
Nachlaß von Konrad ImhoffNachlaß des Nürnberger Patriziers Konrad Imhoff von 1486: "[...]schwarze zottete Kappen[...]"
Testament von Wolf Imhoff, 1520Testament des Nürnberger Patriziers Wolf Imhoff, 1520: "[..]grob wollen Kappen[...]"
Bildteppich des Busant-Epos, um 1490Bildteppich des Busant-Epos, um 1490, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, ursprünglich aus Straßburg. Herzoglicher Bote mit explizit nähtechnisch aufgebrachten, roten Wollflor
Ständebuch von Jost Amman, um 1568Ständebuch von Jost Amman, um 1568, der "Hüter": "Kehrt hie hereyn jr Kauffleut all / Schauwt / ob mein arbeit euch gefall / Von guter Wolln / sauber / nicht biltzet / Wol gschlagen / gwalcken vnd gefiltzet / Auch wol geformbt vnd zugericht / Gezogen Hüt vnd auch gebicht / Auch mach ich der Filtzslocken viel / Wenn der kalt Winter anbrechn wil."
Handschrift, Schwaben, um 1475Handschrift, Schwaben, um 1475 "Tod und Bauer", Hamburg, Staats-und Universitätsbibliothek. Bauer mit Hut mit deutlichem Flor.
Verschiedene niederländische und burgundische Textquellen, 14-15.JhdVerschiedene niederländische und burgundische Textquellen, 1.H 15tes Jahrhundert aus: "Francoise Piponnier: Costume et vie sociale. La cour d'Anjou XIV-XVe siècle". Paris, 1970, u.a. Erwähnungen für verschiedene Hutarten: "rez" (glatt), "welus" (zottig), "crespés" (kraus), "frisé" (aufgerauht), "à poil court" (mit kurzem Flor)
Wollkappenfund, Kloster Apirsbach, um 1576Wollkappenfund, Kloster Apirsbach, um 1576. Filz mit aufgebrachtem Wollflor aus nachträglich aufgeschnittenen Schlingen
Fragmentarische Filzhutfunde, London, 1. H. 16tes JahrhundertFragmentarische Filzhutfunde, London, 1. H. 16tes Jahrhundert mit aufgenähtem Wollflor. (vergl. Elisabeth Crowfoot, London, Medieval Finds from Excavations in London)
Peringsdörfer Altar, um 1486-88, Michael WolgemutPeringsdörfer Altar in der Friedenskirche Nürnberg. Michael Wolgemut um 1486-88.
Vorlagenseite, weibliche Kopfbedeckungen, Michael Wolgemut, 1470Skizzen-oder Vorlagenseite von Michael Wolgemut, verschiedenste weibliche Kopfbedeckungen darstellend, um 1470, Nürnberg. Jetzt in der staatlichen graphischen Sammlung München.
Wolfegger HausbuchHausbuch des Fürsten von Waldburg-Wolfegg, ca. 1475-85, auch "Wolfegger Hausbuch". Eine der bedeutensten Quellen für spätmittelalterliche, süddeutsche Mode.
Hausbuchmeister, 15tes JahrhundertDarstellungen der oder des sogenannten "Hausbuchmeisters", benannt nach seiner/ihrer Arbeiten am Hausbuch von Schloss Wolfegg. Genauere Bezeichnung wären "Meister des Amsterdamer Kabinetts", da es sich um vermutlich mehrere Personen handelten, deren Grossteil an Arbeiten sich heute im Amsterdamer Rijksmuseum zu finden sind. Der oder die vor allem am Ober-und Mittelrhein täten Künstler waren mit ihrer Arbeit wegweisend für die spätmittelalterliche Kunst, und gehörten neben Schongauer zu den bedeutensten deutschen Kupferstecher und Zeichner. Wirkungszeitraum ca. 1470-1505. Details siehe Wikipedia.
Das Hausbuch der Mendelschen ZwölfbruderstifungDie Abbildungen des Hausbuches der mendelschen Zwölfbruderstifung aus Nürnberg, frühes 15tes bis frühes 16tes Jahrhundert, zeigt vielerlei Handwerksberufe und ihre verwendeten Werkzeuge sowie Produkte, und stellt eines der bedeutensten Werke des Spätmittelalter in Bezug auf Handwerk, speziell in Nürnberg, dar.
Spätmittelalterliche Gemälde aus NürnbergVerschiedene Gemälde aus Nürnberg (Nürnberger Lorenzkirche, Germanisches Nationalmuseum), aus dem Zeitraum 1380-1500.
 

Empfohlene Literatur


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Historische Textilien - Beiträge zu ihrer Erhaltung und Erforschung
Sabine Martius, Sibylle Ruß, Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum
Insbesondere, ober nicht nur ob des Artikels von Julia Seidel zu Hüten mit nähtechnisch aufgebrachtem Flor im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit sehr interessantes Buch.
 (German)
 

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. Venus und Mars: Das Mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg .
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Venus und Mars: Das Mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg
Graf zu Waldburg Wolfegg, Prestel Verlag
Das mittelalterliche Hausbuch stellt mit seinen 63 illustrierten Pergamentblättern mit bürgerlichen und adligen Leben, sowie Illustrationen technischer Geräte, eines der bedeutensten Bildwerke spätmittelalterlicher deutscher Bildkunst dar, und ist eines der besten Quellen für spätmittelalterliche, süddeutsche Mode, insbesondere im Raum Augsburg bis Nürnberg.
379131839 (German)
 

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Vom Leben im späten Mittelalter. Der Hausbuchmeister oder Meister des Amsterdamer Kabinetts
J. P. Filedt Kok, Rijksmuseum Amsterdam
Ausstellungskatalog des Rijksmuseum Amsterdam zur gleichnamigen Ausstellung 1985. Universelles Werk zur Mode im späten 15ten Jahrhundert, insbesondere in Deutschland, sowie dem genannten Meistern des Amsterdamer Kabinetts und anhängiger Kupferstecher und Maler. Absolutes Muss für Darsteller des späten 15ten Jahrhunderts in Deutschland.
66137-92594 (German).
 

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