Kleidung - Bestickte Cotehardie

Cotehardie aus mit Cochenille und Indigo gefärbter Wolle, mit handgesponnener Seide besticktDetail der Stickerei aus handgesponnener Seide
Detail des geknöpften Ärmels
(um 1350)

Die körperbetonte Mode im 14ten Jahrhundert

Während die weibliche Mode der Hochgotik weite, faltenreiche, verhüllende Schnitte bevorzugte, änderte sich, vermutlich ausgehend von Frankreich, im Verlaufe des 13ten Jahrhunderts bis Mitte des 14ten Jahrhunderts der Modestil völlig.
Die rechteckigen Schnitte mit dreieckigen, eingesetzten Keilen wichen teils komplizierten Schnitten (-> Einfaches Schlupfkleid) mit einer Vielzahl den Körper angepassten Keilen (-> Geknöpftes Leinenkleid), um das Ideal zu erreichen: bis zur Hüfte eng geschnittene, darunter reich in Falten fallende Kleider, und eng anliegende Ärmel bis zur Schulter.
Während die Knöpfung im frontalen Bereich in Deutschland sowohl in der Männer- als auch besonders der Frauenmode noch etwas auf sich warten liess, begann man schliesslich in Frankreich und England, Kleidungsstücke vom Halsauschnitt bis zum Saum durchzuknöpfen, und darüber hinaus die bereits gängige Knöpfung bis zum Ellenbogen bis zur Schulter auszuweiten.
Je nach Tätigkeit und sozialem Umfeld der Trägerin etabierte sich diese beim Einkleiden durchaus als unpraktisch zu bezeichnende Modeströmung insbesondere in den höheren Kreisen der Gesellschaft, und wurde erst in der zweiten Hälfte des 14ten Jahrhunderts, bis hin zur Mitte des 15ten Jahrhunderts, zunehmend durch den Schnürverschluss(-> Einfaches spätmittelalterliches Kleid, Kleid nach süddeutscher Mode) abgelösst, der im Gegensatz zur Knöpfung nicht nur eine Betonung oder Abformung, sodern auch eine Formung des Körpers erlaubte (-> Kleid mit angesetztem Rockteil), und schliesslich die Entwicklung zum Korsett vorwegnahm.
Die Änderung von den die Körperform verhüllenden Kleidungsstücken hin zu einer Betonung der Körperform stiess bei verschiedenen zeitgenössischen Beobachtern auf große Kritik, welche vermutlich auch Grund dafür war, dass Kleidern, bzw. Kleidungsstücken dieser Art, die in ihrer ursprünglichen Form schlicht im Französischen als "Cotte" (= Kittel) oder "Tunique" bezeichnet wurden, den Zusatz "hardie" (= gewagt) als Anspielungan ihre Art erhielten, und somit den Begriff "Cotehardie" etablierten. Dieser lässt sich jedoch nicht an einer genauen Form festmachen, weswegen wir vereinfachend von der "neuen" körperbetonten Form der (Ober-)Kleidung von sowohl Mann und Frau als "Cotehardie" sprechen.

Verzierungen Stickereien auf profanen Textilien des 14ten Jahrhunderts

Das 14te Jahrhundert kann man wohl mit Fug und Recht als das Jahrhundert der Stickerei (mit Einschränkung auf das Mittelalter) bezeichnen. Obgleich uns in der bildlichen Darstellung nur relativ begrenzt Beispiele für Stickereien überliefert sind, und diese sich nicht immer eindeutig von künstlerischen und symbolischen Zielen lösen lassen, sprechen insbesondere die Textquellen in Frankreich und England um die Mitte des 14ten Jahrhunderts von einer waren Flut an gestickten Verzierungen an repräsentativen Textilien. Lebendiges, noch erhaltenes Zeichen dieser Mode sind unter anderem die Almosenbeutel (-> Goldbestickter Almosenbeutel), deren Blütezeit zwischen 1300 und 1400 liegt. Zu den wenigen Kleidungsstücken mit Stickereien, die die Zeit überdauert haben, gehören hauptsächlich kirchliche Textilien. Rechnungen, Testamente und andere Textquellen aus dem Umfeld wohlhabender Personen nennen jedoch auch profane Kleidungsstücke, die mittels teilweiser oder sogar flächiger Stickerei verziert wurden. In der bildlichen Darstellung begegnen uns in diesem Zusammenhang häufig flächige, oft florale Musterungen, ob derer man nicht näher eingrenzen kann, ob es sich hierbei um einen gemustert gewebten Stoff, wie Brokat oder Damast handelt, oder um Stickereien. Insbesondere im Umfeld des englischen und französischen Königshauses gegen Mitte des 14ten Jahrhunderts wird jedoch die Wertigkeit bestickter Kleidung gegenüber den Musterwebungen hervorgehoben, was vermutlich an deren Einzigartigkeit und der Detailtiefe, sowie an der Möglichkeit, Edelsteine, Perlen und andere Materialien einzuarbeiten, lag. Neben szenischen (-> Bestickter Hut) und floralen Motiven (- Minnetuch , Kurze Cotehardie) sowie reinen Perlenstickereien (-> Pelzgefütterter, Perlen-und seidenbestickter Surcot , Perlenbestickte Gugel , Höllenfenstersurcot)  sind besonders einfache geometrische Musterungen beliebt (-> Gugel mit Blätterzaddeln">Bestickte Gugel mit Blätterzaddeln, Verzierte gezaddelte Gugel) , die in Frankreich nachweislich bereits eine längere Tradition besitzen (vergleiche: Besticktes Kleid um 1250), auch im französischen Modeinflußgebiet Norditalien und Südengland anzutreffen sind, und die möglicherweise aus dem byzantinischen Raum beeinflusst wurden. Erstaunlich dagegen ist der Mangel an solchen im deutschsprachigen Raum. Während in Böhmen und in Gebieten weiter im Osten byzantinische und vororientalische Einflüsse in der Stickerei nachzuweisen sind, nimmt sich der zentral deutschsprachige Raum eher altmodisch aus, was verschiedene Textquellen sogar anhand konkreter Beispiele bestätigen.
 

Vorlage

Das vorliegende Kleid basiert auf einer Reihe von Darstellungen aus dem Nordfranzösischen Raum, insbesondere des Grossraumes Paris um die Mitte des 14ten Jahrhunderts, sowie verschiedenen Funden aus Europa, und Textquellen des französischen Königshauses sowie zur Pariser Bürgerschaft im 14ten Jahrhundert, sowie vergleichenden Darstellungen in Italien und England.

Es ist aus mittels Cochenille und Indigo lila gefärbter, feiner Wolle gefertigt, und frontal und am Unterarm mittels insgesamt über 120 kleiner Stoffknöpfen auf Basis von Funden aus London gefertigt. Der Torso, Rockteil und die Ärmelmanschetten wurden mit geometrischen Mustern, wie sie insbesondere schon im Pariser Raum bereits seit dem 13ten Jahrhundert nachweisbar sind, aus handgesponnener Seide bestickt. Diese Muster sind in ähnlicher Form ebenfalls in italienischen Malereien des gleichen Zeitraumes zu finden (siehe rechts).

Legende zu Vorlagen rechts

  • (A) Vergleichsbild aus der französischen Kreuzfahrerbibel, um 1250, Paris
  • (Rest) verschiedene Darstellungen aus Italien, England und Frankreich, um 1350. Geometrische Stickerei im profanem oder betont hochwertigen Kontext
Verschiedene Darstellungen geometrischer Stickerei, Frankreich, England, Italien
(In unserem Besitz seit 01/2007 / Stand 23.06.2010)
 

Quellangaben

Kreuzigung, von Bernardo DaddiKreuzigung, von Bernardo Daddi, Lindenau-Museum, Altenburg. Um 1345-48
Mariä Verkündigung, von Bernardo DaddiMariä Verkündigung, von Bernardo Daddi. Louvre, Paris, um 1335
Altarbild von San Pancrazio, von Bernardo DaddiAltarbild von San Pancrazio, von Bernardo Daddi. Königliche Sammlung in Windsor, England, um 1338
Bibl. Sainte-Geneviève, Ms. 1029"Le livre des propriétés des choses", Bibl. Sainte-Geneviève, Ms. 1029, Paris, um 1350
Inventarlisten, Paris, 14tes JahrhundertBürgerliche Inventarlisten aus Paris, ca. 1340-80
Bible Sainte-Geneviève, 1350Bible Sainte-Geneviève, Paris, um 1350
MS 1029Paris, Bibl. Sainte-Geneviève, MS. 1029, ca 1350
AlexanderromanDer Alexanderroman, vermutlich ca. 1338-44 in Flandern (aus der Hand des flämischen Illustrators Jehan de Grise und seiner Werkstatt) entstanden, enthält Verse in französischem (picardischen) Dialekt und (ab 1400) Englisch über "Romance of the Good King Alexande" (über Alexander den Grossen), sowie illustrierte Berichte über die Reisen Marco Polos. Es stellt eine hervorragende Quelle für französische Mode um die Mitte- genauer der ersten Hälfte der 40ger Jahre- des 14ten Jahrhunderts dar.
Funde von HerjolfsnesIn dem Fundkomplex bei Herjolfsnes, Grönland, wurden zahlreiche Textilien des Zeitraumes 1300-ca.1420 gefunden, womit es eine der bedeutensten Fundquellen für spätmittelalterliche Textilien darstellt.
LondonfundeTextil-, Metall-, Buntmetall-, Holz-, Leder und Schuhfunde aus dem Hafenbecken von London
BNF Fr 12, Lancelot du LacBNF Fr 12, Lancelot du Lac, Frankreich, 1350-60
Roman de la RoseHandschrift des französischen Roman de la Rose (ab 13.Jhd, Hier: Folianten um 1350-60). Der Roman de la Rose ist ein Versroman mit zentralem Minnethema und eines der wichtigsten Werke der französischen Literatur des Mittelalters. Er ist in zahlreichen Manuscripten von 1250 bis 1500 erhalten, und wurde auch später noch gedruckt. Damit hatte er einen massiven Einfluss auf die französische Literatur. Die zahlreichen Miniaturen der einzelnen Manuskripte machen diese zu einer hevorragenden ikonographischen Quelle des französischen Mittelalters. Mehr unter Wikipedia
Holkham-Bibel Holkham-BibelHolkham Bibel, England, ca. 1330, English Library
 

Empfohlene Literatur


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. Woven into the Earth: Textiles from Norse Greenland .
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Woven into the Earth: Textiles from Norse Greenland
Else Ostergard, Aarhus Universitetsforlag
Die Neuanalyse der Textilfunde im grönländischen Herjolfnes birgt an sich wenig spektakuläre Neuerungen gegenüber den ursprünglichen von Nordlund, durch die sehr plastischen Fotos der Originalstücke, der beigefügten Schnitte mit Maßen, den Kapitel über Textilverarbeitung in Grönland aber gewinnt das Buch einen ausserordentlichen Reiz für jeden Darsteller mit Interesse an Textilfunden.
8772889357 (German).
 

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. Dress Accessories, c.1150-c.1450 .
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Dress Accessories, c.1150-c.1450
Geoff Egan, Frances Pritchard, Boydell Press
Aus der Reihe "Medieval Finds from Excavations in London" bietet dieses Buch einen faszinierenden Überblick über die Funde mittelalterlicher Gürtel, Schnallen, Nadeln und anderer Accessoirs aus dem Hafen von London.
0851158390 (German).
 

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. Textiles and Clothing , C.1150-C.1450 .
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Textiles and Clothing , C.1150-C.1450
Elisabeth Crowfoot, The Boydell Press
Das Buch zu den Textilfunden aus dem Hafenbecken von London aus der Reihe der Londonfunde bietet neben der Analyse der Textilien interessante Details zur Textilindustrie speziell des 14ten Jahrhunderts in England, und stellt auf Grund der detaillierten Auswertungen der Verarbeitungstechniken, Materialien und Färbungen eine Pflichtlektüre für hoch-und spätmittelalterliche Textilrekonstruktion dar.
1843832399 (German).
 

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