Rüstung und Waffen - Spätgotische Panzerhandschuhe

Einfache, spätgotische Faltenbündelhandschuhe (spätgotische Panzerhandschuhe)
Innenhandschuhe aus HirschlederDemonstration der Beweglichkeit durch Gleitnietenkonstruktion
(ca. 1475-85)

Frühe Handschuhtypen

An kaum einen Teil des mittelalterlichen Plattenharnischs zeigt sich derartig eindrucksvoll die Hohe Kunst der Plattner in Europa zur Hochzeit der spätmittelalterlichen Plattenpanzer, wie am Panzerhandschuh. Während in der Frühzeit des Panzerhandschuhs dieser noch aus auf oder in textilen oder ledernern Träger eingenieteten Plattenteilen besteht (-> Frühe Panzerhandschuhe ), die die Beweglichkeit der Platten untereinander Grenzen setzen, verringert sich die Anfangs hohe Anzahl an Einzelplättchen in der Folge und wird mit einer starren Stulpe komibiniert: der Stundenglashandschuh, so benannt nach der Form der Stulpe, entsteht. Die kurze, breite Stulpe dieses Typus überlappt gegenüber seinem Vorgängern, die noch eine längere Stulpe besaßen, die teils mit einer Unterarmschiene integriert sein konnte (vergleiche Massengräber aus Wisby) mit dem nunmehr auch weit verbreiteten Armzeug nur wenig. Dies liegt vermutlich an der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt, anders als bei den Vorläufern, die Unterarmpanzerung nicht mehr nur aus Ringpanzer oder ergänzenden Elementen (-> Segmentarmschienen ) über einen Textilpanzer besteht, sondern bereits aus vollständigen Röhren aus getriebenem Stahlblech.

Die Entwicklung der Hentze und des spätgotischen Fingerandschuhs

Zu diesem Zeitpunkt sind die eingrenzbaren Handschuhtypen allesamt Fingerhandschuhe, was angesichts der kurz darauf aufkommenden Hentzen, also Handschuhe mit zusammenhängendem Blechschutz über alle 4 Finger plus den Daumen, überraschen mag. In Verbindung mit der kurzen Stulpe, die sich bis in das frühe 15te Jahrhundert hält, erschliesst sich diese Entwicklung jedoch, wenn man die zeitgenössische Kampfweise betrachtet: beinhaltet bis in die zweite Hälfte des 14ten Jahrhundert die Bewaffnung eines gut gerüsteten Kämpfers noch einen Schild, der neben dem einhändigen Schwert geführt wird, tritt zunehmend die Fechttechnik mit dem teils oder vollständig zweihändig zu führenden Schwert in den Vordergrund. Durch die nunmehr exponiertere Position der Hände, die überhaupt vermutlich auch erst zu einer Entwicklung von Handschuhen mit Blechbestandteilen geführt hat, begründet auch die Konsequenz der Nutzung von Handschuhen mit stärkerer Panzerung der Finger und der Unterarme. Dies wird vermutlich auch durch den Umstand begünstigt, dass sich die Zusammensetzung mittelalterlicher Heere ändert: die sich aus dem auftrebenden Bürgertum rekrutierenden Milizsoldaten mit guter Ausrüstung werden zunehmend auch im städtischen Umfeld durch professionele Söldner mit guter Ausrüstung ersetzt, die, zu Fuß mit Stangenwaffen kämpfend, anders als ihre Vorfahren, auf einen gut entwickelten Handschutz in Form von Hentzen zurückgreifen können.
Die Erfindung der Gleitnieten in Italien des frühen 15ten Jahrhunderts erlaubt schliesslich die Konstruktion komplexerer Handschuhtypen, die gegenüber ihren Urahnen der Hand wenig an Beweglichkeit nehmen. Während in Italien man starreren Handschuhtypen treu bleibt, entwickelt sich im deutschsprachigen Raum der spätgotische Handschuh deutschen Stils, der mit zahlreichen Elementen der deutschgotischen Harnische schliesslich die Vollendung des Handschutzes in Form und Funktion darstellt.

Weitere zugehörige Harnischteile in diesem Zeitrahmen

Vorläufer früherer Jahrhunderte

 

Vorlage

Die vorliegenden spätgotischen Panzerhandschuhe stellen eine einfacher Ausführung des deutschen Handschuhtyps da, die nach Matthias Goll als "Faltenbündelhandschuh" bezeichnet werden können.
Die Elemente der Finger sind auf einem Träger aus Leder aufgenietet, der an ein unterhalb der Fingerknöchelplatte versteckt eingenietetes Blech genietet sind. Die einzelnen Elemente des Handrückens sind mit Glietnieten verbunden.
Die mittels Leinen vernähten Innenhandschuhe aus sämisch gegerbten Hirschleder sind mittels gewachstem Leinen an in den Handschuh genieteten Lederplättchen angenäht.
Als Vorlagen dienten verschiedene Handschuhe aus Deutschland und dem europäischen Ausland, die süddeutscher Herkunft zugeordnet werden können (siehe Quellliste).
(In unserem Besitz seit 04/2006 / Stand 26.07.2012)
 

Quellangaben

Fingerhandschuhe, KHM WienFingerhandschuhe, KHM Wien, Hofjagd- und Rüstkammer, Inventarnr. A62 (Lorenz Helmschmied). Sehr stark verzierter Handschuh mit Buntmetallknöcheln (vergoldet?), Punzierungen, sehr viele Herzdurchbrüche, gefeilte Kanten, vielfachte Gratungen und Falten. Finger vermutlich ergänzt. Um 1480.
Fingerhandschuhe, KHM WienFingerhandschuhe, KHM Wien, Hofjagd- und Rüstkammer, Inventarnr. A58 (Lorenz Helmschmied). Sehr stark verzierter Handschuh mit Buntmetallknöcheln (vergoldet?), Punzierungen, gefeilte Kanten, vielfachte Gratungen und Falten. Spitz getriebene Knöchel. Um 1480.
Fingerhandschuh, Rüstkammer Schloss ChurburgFingerhandschuh, Rüstkammer Schloss Churburg, Tirol, Inventarnr. CHS50, um 1480. Starke Fältelung, relativ grob gefeilte Randverzierungen, spitz ausgetriebene Knöchel, Finger bestehen aus 3 Folgen, Daumemn und 2 Finger fehlen
Fingerhandschuhe, Rüstkammer Schloss ChurburgFingerhandschuhe, Rüstkammer Schloss Churburg, Tirol. Inventarnr. CHS49. Um 1480. Hergestellt von Kaspar Rieder, Innsbruck. Aufwändige mehrfache Faltenverzierungen und gefeilte Kanten, sowie Durchbrüche. Leicht Pyramide Knöchel.
Fingerhandschuhe, Germanisches Nationalmuseum NürnbergFingerhandschuhe, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inventarnr. W2161 (Landshuter Harnisch), um 1480 oder später. 5teilige Finger, stark ausgetrieben Knöchel, Herzdurchbrüche, starke Faltenbündel.
Fingerhandschuhe des Kaiserbuergmuseums NürnbergFingerhandschuhe des Kaiserbuergmuseums Nürnberg, Inventarnr. W1019, um 1480. Vermutlich ursprünglich Hentze, Finger mit an Knöcheln angenietetem Leder und aufgenieteten Schuppen für die Finger ergänzt. Starkegrobe Fältelung, schlicht gehalten.
Fingerhandschuhe, Stadtmuseum MünchenFingerhandschuhe im Depot des Stadtmuseums München, Invcentarnr. XIV, 1353(i), um 1480. Zick-Zack Faltenverzierung an der Stulpe, starke Faltenbündelung, ebenfalls auf den relativ flachen Knöcheln.
Fingerhandschuh im Bayrischen Nationalmuseum, MünchenFingerhandschuh im Bayrischen Nationalmuseum, München, Inventar Nr. W302. Um 1480. Fingerknöchel Buntmetall, stark ausgetrieben. Starke Faltenverzierungen, gefeilte Ränder und Herzdurchbrüche.
Fingerhandschuhe, Royal Armouries, LeedsFingerhandschuhe in den Royal Armouries in Leeds, England (Inventar Nr. II. 3), ebenfalls um 1480. Möglicherweise ursprünglich Hentzen, und nachträglich ergänzt. Leichte Faltenverzierungen und gefeilte Ränder. Relativ flache Knöchel.
Fingerhandschuhe, Royal Armouries, LeedsFingerhandschuhe in den Royal Armouries in Leeds, England, um 1480 (Inventar Nr II. 1). Viele Faltenverzierungen, sehr feine Randfeilungen.
Fingerhandschuhe, Rüstkammer Schloss GlattFingerhandschuhe aus der Rüstkammer Schloss Glatt, um 1480, möglicherweise falsche Montage und Ergänzungen. Starke Faltenverzierungen. Wenig gefeilte Lochverzierungen. Relativ flache Fingerknöchel.
Linker Handschuh, Magazin des Augustinermuseums FreiburgLinker Handschuh, im Magazin des Augustinermuseums in Freiburg, um 1480, Fingerknöchel Buntmetall, aufgenietete Buntmetallverzierungen an der Stulpe. Starke Fältelung.
Fingerhandschuhe, Detroit Institute of ArtsFingerhandschuhe, Detroit Institute of Arts, datiert um 1480. Herzdurchbruchverzierungen, starke Gratungen.
Fingerhandschuhe, Sammlung Klingbeil, BerlinFingerhandschuhe aus der privaten Sammlung Klingbeil, Berlin, um 1480. Faltenbündelverzierung, schlichte Gratung, spitz auslaufende Fingerknöchelplatte, einfache Feilverzierungen

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