Kleidung - Durchbrochene Schnabelschuhe

Durchbrochene, seidengefütterte Schnabelschuhe
Seitenansicht der Schuhe mit resedagefärbtem SeidenfutterDetail der Durchbrucharbeiten und der Spitze
(Mitte 14. Jhd - 15. Jhd)

Neben einfachen Schuhen der breiten Masse und arbeitenden Bevölkerung ( Seitlich geschnürte Schuhe ), wurden im Mittelalter auch Schuhe für besser betuchte Personen gefertigt, die deren Bedarf an Repräsentation gerecht wurden.
Eine der häufig in Fund und Bild nachzuweisenden Techniken sind Durchbrucharbeiten, bei der das Oberleder des Schuhs mit Löchern in beliebigen Mustern versehen wird. Häufig waren diese Schuhe abschliessend durch ein farbiges Tuch gefüttert, um ausreichende Stabilität zu gewährleisten.
Solche durchbrochenen Schuhe begegnen uns bereits im 13ten Jahrhundert, und tauchen in Bildquellen des 14ten Jahrhundert sehr oft auf.
(Andere Variante: Durchbrochene Schuhe mit Stempelmuster )


Eine weitere Methode, dem Schuhwerk Extravaganz zu verleihen, ist die spätestens ab der Mitte des 14ten Jahrhundert in der Schuhmode verstärkt auftretende Methode, die Spitzen über das normale Maß zu verlängern. Solche Schuhe zeigen deutlich, dass ihr Träger oder Trägerin keiner körperlichen Arbeit nachgeht, da die Spitze beim Laufen über das Maß gemessenen Schreitens hinaus sehr unpraktisch wird.

Dennoch hielt sich diese Mode bis zum Ende des 15ten Jahrhunderts, und hielt sogar Einzug in die Wehrtechnik, wo die eisernen Überschuhe des ritterlichen Harnisches eine ähnliche, jedoch abnehmbare Spitze erhielt. Diese Spitze war zu Pferde nicht sehr hinderlich, musste vor dem kampf zu Fuß jedoch abgenommen werden, wie z.B. die Schillingchronik deutlich zeigt.
Die Dimensionen der möglichen Spitze waren unterschiedlich, und konnten enorme Ausmaße annehmen, bis hin zur der Annekdote, dass die Spitzen so lang wurden, dass sich die Praxis einbürgerte, diese mittels einer Schnur am Bein festzubinden, um überhaupt noch damit laufen zu können. Ein konkreter Beleg dafür liegt uns jedoch derzeit nicht vor.
Aber auch abgeschwächte Versionen sind verschiedentlich beobachtbar, deren alltägliche Nutzung zumindestens bei nicht schweren körperlichen Tätigkeiten nachgehenden Personen noch relativ unproblematisch ist, und das Modebewusstsein des Trägers vermittelt (->Einfache Poulaines ).

Diese Schuhform taucht auch häufig unter der Bezeichnung "Poulaine(s)" auf, vermutlich von der Bezeichnung "souliers à la poulaine" (Schuhe nach polnischer Art) aus dem Mittelfranzösischen abgeleitet, da diese Mode in Polen erfunden worden sein soll, und zuerst in französischsprachigen Regionen übernommen wurde. Zwischen 1351-55 erwähnt Étienne de la Fountaine diese als modische Bekleidung ded französischen Hofes: "[...]pour faire et forger une paire de coutes et poulaines, tous poinconnez de feuillages nervez et esmaillez de ses armes[...]".

 

Vorlage

Die vorliegenden Schuhe wurden nach Exemplaren aus London gefertigt. Ähnliche Schuhe sind jedoch auch in anderen europäischen Fundkomplexen zu finden.

Während die Mode der verlängerten Spitze sich länger hält, und im 15ten Jahrhundert typisch für die Kleidung besser gestellter Personen ist, begegnen uns dort Durchbruchsarbeiten relativ selten. Eine Theorie ist, dass dies mit der Klimaveränderung im Verlaufe des 14ten bis 15ten Jahrhundert zusammenhängt, der das Wetter kälter werden liess.

Die Schuhe wurden in Wendenahttechnik aus Leder gefärbt, das Leder besteht aus durch Eichenlohgerbung schwarzgegerbtem Leder. Um die durch die Durchbrucharbeiten sehr fragilen Schuhe zu stabilisieren, sind sie durch mehrere Lagen resedagefärbte Seide und Leinen gefüttert.

Eine Arbeit von Stephan von der Heide

Ab dem 13ten Jahrhundert begegnet uns der durchbrochene Schuh als Teil der Mode sehr oft bei hochgestellten Personen, und die Zahl der Funde von Schuhen mit verlängerter Spitze nimmt in der 2. Hälfte des 14ten stark zu, eine Mode, die sich bis in das 15te Jahrhundert hält, wie Funde, und unter anderem Darstellungen aus dem süddeutschen Raum, wie etwa dem Wolfegger Hausbuch, zeigen.

Detaillierte Legende:
(1) Altarbild Johannes des Babtisten, Mitte 14tes Jahrhundert, zeigt durchbrochene Schuhe
(2) Funde durchbrochener Schuhe aus London
(3) Schuh ähnlichen Zuschnittes aus den Londonfunden, jedoch mit kürzerer Spitze
(1) Altarbild von St. John the Babtist, Mitte 14.Jhd, (2) + (3) Funde aus London
(In unserem Besitz seit 12/2006 / Stand 09.02.2010)
 

Quellangaben

Schuhfunde aus LondonIm Hafenbecken von London wurden zahlreiche Funde aus dem hoch-und spätmittelalterlichen London geborgen.
AlexanderromanDer Alexanderroman, vermutlich ca. 1338-44 in Flandern (aus der Hand des flämischen Illustrators Jehan de Grise und seiner Werkstatt) entstanden, enthält Verse in französischem (picardischen) Dialekt und (ab 1400) Englisch über "Romance of the Good King Alexande" (über Alexander den Grossen), sowie illustrierte Berichte über die Reisen Marco Polos. Es stellt eine hervorragende Quelle für französische Mode um die Mitte- genauer der ersten Hälfte der 40ger Jahre- des 14ten Jahrhunderts dar.
Lederfunde aus SchleswigLederfunde aus den Stadtkerngrabungen von Schleswig
Schuhefunde aus DordrechtSchuhfunde aus Dordrecht, Niederlande. Breite Bandbreite verzierter Schuhe in flämisch-französischer Modetradition
Poulainefund aus St. DenisPoulainefund aus St. Denis, jetziges Paris, datiert zw. H. 14tes/Anfang 15tes Jahrhundert, Abfallgrube eines Schuhmachers, Basilikanähe, Itemnr. 24.101.14
 

Empfohlene Literatur


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. Shoes and Patterns (Medieval Finds from Excavations in London) .
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Shoes and Patterns (Medieval Finds from Excavations in London)
Francis Grew, Margrethe De Neergaard, Susan Mitford, The Boydell Press
Das in der Reihe über die Londonfunde erschienene Buch stellt mit eines der Standardwerke über mittelalterliche Schuhfunde dar. Detailliert wird Konstruktion, Entwicklung und Material der Funde aus dem mittelalterlichen London beleuchtet.
1843832380 (German).
 

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. Mittelalterliche Lederfunde aus Schleswig - Futterale, Riemen, Taschen und andere Objekte .
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Mittelalterliche Lederfunde aus Schleswig - Futterale, Riemen, Taschen und andere Objekte
Christine Schnack, Wachholtz Verlag
Diese Beschreibung der Leder aus dem mittelalterlichen Schleswig bietet für den an Replikation und Handwerk interessierten Darsteller gut kompremierte Informationen über die Befundlage, und glänzt mit zahlreichen S/W Bildern der Funde, die einen Nachbau in vielen Fällen einfach werden lässt. Die Vielzahl der Objekte des alltäglichen Lebens ist insbesondere für Darsteller eine gute Quelle, gerade und im Vergleich zu bildlichen Darstellungen und anderen Fundkomplexen wie London, Konstanz usw.
352901463X (German).
 

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