Sonstiges - Mathilde und Gret

Spätmittelalterliche Stoffpuppen
Detail der Beine, Strümpfe, wendegenähten Schuhe, des Unterkleides und des KleiderrockesDetail des Kopfes mit Wulsthaube
(spätes 15tes Jahrhundert)

Lange Zeit galt die Lehrmeinung, das Mittelalter sei insbesondere in Bezug auf die Welt der Kinder eine finstere Zeit gewesen. Während manche Autoren die Meinung vertraten, im Mittelalter sei eine gewisse Gleichgültigkeit der Kindheit gegenüber zu beobachten, argumentierte man häufig mit dem relativ frühzeitigen Eintritt in die Arbeitswelt, und dem erst spät sich verbreitenden Schulwesen, dass so etwas wie eine Kindheit quasi nicht exestiert habe. Auch die hohe Kindersterblichkeit, die Grund für die häufig fälschlich angeführte geringe durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen ist, sei ein Grund, dass man quasi gleichgültig Kindern gegenüber gewesen sei.
Dass diese Meinung revidiert werden muss, zeigen schon verschiedene Textquellen, in denen sich Familienmitglieder, vor allem die Väter, freudig über ihre Kinder äussern. Auch vielen Texten, die von einer sehr strengen Erziehung sprechen, stehen wiederrum solche gegenüber, die genauer auch auf Spiel und Spaß der Kinder eingehen. Unterstützt werden diese Beschreibungen durch die Ikonographie, die Kinder bei vielen heute nach bekannten Spielen zeigen, sowie durch die Archäologie, die Nachweise für eine breite Bandbreite an Spielzeugen liefert.


Neben Funden von Bällen aus Leder, Kreiseln und Kugeln aus Holz, Rasseln, Holzschwertern, Holzfperden, Turnierfigürchen und Ritter aus Ton oder Zinn, die jeweils deutlich demonstrieren, wie bereits im Mittelalter durch Spielzeug die Weichen für die Entwicklung der Kinder gestellt werden, sind besonders im süddeutschen Raum vielfach Puppen aus Ton und Holz nachweisbar. Die ersteren, in der Form der "Kruselerpüppchen", benannt nach der gekräuselten Kopfbedeckung das 14ten und 15ten Jahrhunderts, tauchen im archäologischen Fundgut in ganz Deutschland auf, so auch in Nürnberg. Dort werden auch im Jahre 1415 erstmals die "Dockenmacher" erwähnt, die Puppen aus Holz, "Docken", herstellen. Funde solcher oder teilweise aus Holz in Verbund mit anderen Materialien herstellten Puppen, deren Entsprechungen in der Ikonographie, unter anderem in Verbindung mit der von Puppentheatern, nachweisbar sind, sind in ganz Europa verortbar, wobei sich leider keine uns bekannten textilen Bestandteile erhalten haben.

 

Vorlage

Die beiden hier vorgestellten Puppen basieren auf keiner konkreten Vorlage, ihre Herstellungsweise ist spekulativ, da uns keine Funde rein textiler Puppen vorliegen. Materialien, Fertigungsdetails und Farben entsprechen jedoch zeitgenössischen Funden von Kleidung, sowie der Mode. Beide Puppen sind aus mit Rohbaumwolle gefülltem Leinen gefertigt. Haare und Details des Gesichtes wurden aus Wolle und Leinen modelliert. Auf dem Körper tragen sie ein Unterkleid aus Leinen, an den Füssen tragen sie Strümpfe aus Wolle, die mit einem Band unter dem Knie fixiert sind, sowie wendegenähte Schuhe aus Leder. Beide tragen ein Kleid aus Wolle, das frontal mit einer stilisierten Nestelung versehen ist, die Nestel wurde gemäß zeitgenössischen Funden und Darstellungen in Fingerschlaufentechnik aus Seide gefertigt.

Das grün des einen Kleides wurde mittels einer Färbung aus Reseda und Indigo erzielt, das rot des anderen mittels Krapp.

Im Fundgut präsent sind vor allem stark stilisierte Ganzkörperpuppen und Figuren aus Zinn, Holz und Ton. Ein Fund eines Puppenkopfes mit Fingerlöchern aus Schwerin, datiert auf das 14te Jahrhundert, sowie u.a. die Darstellung eines Puppentheaters aus den französischen Alexanderroman Mitte des 14ten legen aber die Verwendung von Textil als weiteres Material nahe. Einige wenige Darstellungen, z.B. von Lucas Cranach dem Älteren aus dem frühen 16ten Jahrhundert zeigen eine deutliche Detaillierung mittels Verwendung textilen Materials; eine vollständige Fertigung aus Stoff ist jedoch aus Ermangelung an Funden nicht eindeutig nachweisbar, in Hausfertigung jedoch unseres Erachtens durchaus wahrscheinlich, da in dieser Form auch für sehr kleine Kinder geeignet.

Mathilde, die linke Puppe, ist nun im Besitz von Henriette, der kleinen Tochter von Andrej Pfeiffer-Perkuhn, wir wünschen ihr ganz viel Spaß damit!

(In unserem Besitz seit 06/2009 / Stand 20.07.2009)
 

Quellangaben

Holzpuppenkopffund aus SchwerinHolzpuppenkopffund aus Schwerin, 14tes Jhd.
AlexanderromanDer Alexanderroman, vermutlich ca. 1338-44 in Flandern (aus der Hand des flämischen Illustrators Jehan de Grise und seiner Werkstatt) entstanden, enthält Verse in französischem (picardischen) Dialekt und (ab 1400) Englisch über "Romance of the Good King Alexande" (über Alexander den Grossen), sowie illustrierte Berichte über die Reisen Marco Polos. Es stellt eine hervorragende Quelle für französische Mode um die Mitte- genauer der ersten Hälfte der 40ger Jahre- des 14ten Jahrhunderts dar.
Tafelbild, Lucas Cranach der ÄltereTafelbild, Lucas Cranach der Ältere, 1531-40, Augsburg, Kirche St. Anna.
Tafelmalerei auf Holz, Süddeutsch, um 1500Tafelmalerei aus Holz, Münchner Stadtmuseum, von Wertinger Hans, um 1498
KarneolpuppenmacherHolzschnitt aus dem Hortus Sanitatis von Johannes Prüss der Ältere, Krems an der Donau, Österreich, um 1494
PuppenschuhStark verzierter Puppenschuh aus Holz und Bronze, Konstanz, Grabung Wessenberg, Katzgasse. Vermutlich von einer Steckpuppe. Wohl Spätmittelalterlich.

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