Schmuck und Accessoires - Goldbestickter Almosenbeutel

Almosenbeutel mit Hintergund aus Goldlahn und Minnemotiv
Ansicht der Rückseite mit symbolhaften TierdarstellungenDetail der Quasten mit nadelgebundenen Goldlahnkappen und des oberen Taschenrandes mit Anlegetechnik
(ca. 1340 - 1400)
Der Almosenbeutel, oder auch "aumônières sarrazinoises", "bourse", "gibecière", gipser (nach Chaucer), begegnet uns im 13ten Jahrhundert das erste mal in Regeln der französischen Seidenstickergilden. Obwohl die verwendete Bezeichnung "sarrazinoises" eine Herkunft aus dem arabischen Raum nahelegt, lassen sie sich bereits im 12ten Jahrhundert in Europa nachweisen. Frühere Exemplare aus dem byzantinischen Raum geben jedoch Hinweis darauf, dass es sich tatsächlich um eine Tradition aus dem Mittelmeerraum handelt.
In seiner Namensgebung spiegelt der Almosenbeutel die biblisch gebotene Freigiebigkeit der Christen für Bedürftige wieder, die im Mittelalter in Wort und Bild zahlreiche Entsprechungen findet.
Tatsächlich ist anzunehmen, dass der Almosenbeutel im Mittelalter, das keine Taschen in der Kleidung kannte, Aufbewahrungsort für zahlreiche kleine Dinge des täglichen Lebens war, die oft mitgeführt wurden. Sicher jedoch für Geld, dass den am Gürtel frei hängenden Beutel Ziel für die sprichwörtlichen Beutelschneider werden liess. Im Verlaufe des 14ten Jahrhunderts führte dies offenbar dazu, dass der dekorative, aber auffällige, Beutel zunehmend unter der zweiten Oberbekleidung, dem Surcot, Schaube oder Houppelande getragen wurde.
Besonders viele Exemplare sind uns aus französischer Fertigung erhalten, was zusammen mit den Zunftregeln in Paris, und einigen anderen Hinweisen deutlich machen, dass Paris vor weiteren Zentren der dekorativen Stickerei wie z.B. Köln ein starker Produzent solcher Taschen ab dem 13ten Jahrhundert war. Zu dieser Zeit wird auch zunehmed der "opus anglicanum", der figürliche, englische beeinflusste Stickstil profaner und Minne darstellender Szenen beliebt. Im 14ten Jahrhundert bringt die französische Produktion, die in ihrem Zentrum Paris laut Handelsregistern teilweise über 124 meist weibliche Spezialistinnen beschäftigte, die "nue" genannte Anlegetechnik von Goldlahn, der durch die Befestigungsfäden dekorative Muster bildet, zur Perfektion.
Die Seidenhandwerkerinnen und -handwerker, die in bestimmten Teilen von Paris wohnten und arbeiteten, mussten sich strengen Prüfungen unterwerfen, die eine gleichbleibende Qualität dieses Produkts gewährleisten sollte. Die Berufszweige, die sich oft Läden und Werkstätten teilten, besassen auch hohe Anforderungen an ihre Lehrlinge, und stellten Regeln auf, um Techniken und Material vor Spionen anderer Werkstätten aus anderen Städten zu schützen.

Neben der Möglichkeit, den eigenen Wohlstand durch eine besonders reich gearbeitete Tasche zur Schau zu stellen, zeigen uns Textquellen ab dem 12ten Jahrhundert, dass die oft mit Minneszenen gestalteten Taschen beliebte Liebesgaben waren. Das im höfischen Umfeld stark mit Ruf, Ansehen und Werben verbundene Streben, möglichst aufwändige Geschenke zu machen, begegnet uns in vielerlei Ausprägung im Rahmen der ritterlichen Kultur, die in Frankreich insbesondere im 14ten Jahrhundert besondere Blüte erlangte.
 

Vorlage

Diese Tasche stellt keine konkrete Replik einer bestehenden Tasche dar, orientiert sich in ihrer Ausführung jedoch eng an verschiedenen erhaltenen, französischen Beuteln um die Mitte des 14ten Jahrhunderts, insbesondere dem Beutel mit der Inventarnummer 56,1237 aus dem Museum für Kunstgewerbe in Paris.
Das Motiv der Vorderseite reproduziert eine Minneszene, die auf der Deckelinnenseite eines Kästchens dargestellt ist, Herkunft vermutlich Flandern, aus dem Domkapitel St. Paulus Münster. Die Hinterseite basiert auf veschiedenen Darstellungen aus dem flämischen und französischen Raum des Zeitraumes 1350-1400, und trägt in der Tierdarstellung und dem zentralen Busch symbolische Bedeutung der französischen Minne.
Als Stickmaterial wurde Seide, teilweise mit Waid und Reseda gefärbt, gewählt, als Stickgrund Leinen. Die Anlegearbeiten bestehen aus mit roter Seide gefassten Goldlahn, der in der im 14ten Jahrhundert typisch französischen, geometrische Muster bildenden Technik verarbeitet wurde. Die Bänder für die Quasten und die Gürtelbefestigung wurden, dem Original entsprechend, in einfacher, gegenläufiger Seiltechnik gearbeitet. Die Quasten sind, ebenfalls wie im Original, mit Nadelbindungskappen aus Goldlahn eingefasst. Am oberen Taschenrand wurde, wie bei der Mehrzahl der aufwändig gearbeiteten Taschen üblich, der resedagefärbtem seidene Träger vollkommen mit Anlegetechnik in Farbiger Seide bedeckt. Das Innenfutter besteht ebenfalls aus resedagefärbter Seide.
1: Tasche, Mitte 14tes Jhd, Frankreich, 2: Minnekästchen, Flandern, 3: Darstellung, Luttrell Psalter
(In unserem Besitz seit 01/2007 / Stand 02.02.2010)
 

Quellangaben

Almosenbeutel aus dem RheinlandVerschiedene Almosenbeutel aus dem Rheinland, 13tes und 14tes Jahrhundert
Almosenbeutel aus Köln Almosenbeutel aus KölnBeutel aus Köln, Schnütgen-Museum, Rheinland, 14tes Jahrhundert, mit Bestickung aus Seide, Perlen und Silberstäbchen
MinnekästchenMinenkästchen mit Turnierszene "Waffenreichung". Wahrscheinlich Flandern, unter nordfranzösischem Einfluß, zwischen 1330 und 1350, Ahornholz, farbig gefasst. Höhe 6,7cm, Breite 18,8cm, Tiefe 10,2cm Inv. Nr. BM 317 (Leihgabe des Kapitels der Hohen Domkirchen St. Paulus Münster)
Almosenbeutel, Frankreich, 1340 Almosenbeutel, Frankreich, 1340Almosenbeutel mit Liebespaar, Frankreich, Paris, 1340. Museum für Kunste Gewerbe Inventar Nr. 56,1237
Almosenbeutel, Frankreich, 1340 (Rückseite) Almosenbeutel, Frankreich, 1340 (Rückseite)Almosenbeutel mit Liebespaar, Frankreich, Paris, 1340. Museum für Kunste Gewerbe Inventar Nr. 56,1237
Seidenbestickte Tasche Seidenbestickte TascheSeidenbestickter Almosenbeutel aus Deutschland, jetzt im Victoria and Albert Museum, England, Katalognummer 8699-1863, datiert auf das 14te bis 15te Jahrhundert. Bildauszug (c) 1995 Timothy Mitchell, im Bestand des Victoria and Albert Museum, London
Geoffrey chaucerGeoffrey chaucer, ca. 1343-1400, wird oft als Vater der englischen Literatur bezeichnet, und ist mit seinen reichen Werken englischer Texte, insbesondere den berühmten Canterbury Tales eine hervorragende Quelle für kostümgeschichtliche Begriffe des 14ten Jahrhunderts
Andreas Capellanus (12.Jhd.)Andreas Capellanus wurde im 12ten Jahrhundert, vermutlich in Frankreich, geboren und wirkte als Kaplan des spanischen Hofes. Er verfasste das in Mittellatein geschriebene "De amore", ein Liebestraktat, das Elemente der höfischen Liebe schildert.
Französische Berufsschaulisten des 13ten JahrhundertsBerufsschaulisten aus Paris, Frankreich, Mitte 13tes Jahrhundert. Eine Liste aller Handwerker zur Erfassung der Handwerksberufe und ihrer Mitglieder.
Pariser Handwerkerverordnungen des 13ten und 14ten JahrhundertsPariser Handwerkerverordnungen des 13ten und 14ten Jahrhunderts aus dem Pariser Stadtarchiv. Darunter Verordnungen für Pourpointiers, Seidenstickerinnen, Weber, Nestelmacher uvm.
 

Empfohlene Literatur


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Schriften des Westfälischen Landesmuseums
verschiedene Autoren, Westfälisches Landesmuseums
Verschiedene Schriften des Westfälischen Landesmuseums, unter anderem das Kunstwerk des Monats Februar 79
 (German)
 

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Das Stickereiwerk
Marie Schuette und Sigrid Müller-Christensen, Verlag Ernst Wasmuth
Standardwerk zum Thema Sticken von der Antike bis in die Neuzeit. Zahlreiche Illustrationen und Technikanleitungen
0814318746 (German)
 

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